Info | Autorin | Inhalt | Vorwort | Rezensionen
Vorwort des Herausgebers zur 14. Auflage
Heftige, zum Teil essenzielle Kritik an Entwicklungshilfe prägte die dritte Dekade der entwicklungspolitischen Aktivitäten der Industrieländer, die Achtzigerjahre. Ihre Konzepte und Theorien standen auf dem Prüfstand, insbesondere nachdem einer der Väter der internationalen Zusammenarbeit, der schwedische Ökonom Gunnar Myrdal, öffentlich seinen Standpunkt änderte und die bislang geleistete Entwicklungshilfe für gescheitert erklärte.
Auf die gängige Praxis hatte dies zunächst wenig Einfluss. 1985 veröffentlichte Brigitte Erler, damalige Referentin des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ), das Buch "Tödliche Hilfe". Schockiert über die Folgen staatlicher Entwicklungshilfe vor Ort beschrieb sie die einzelnen Stationen ihrer letzten Dienstreise durch Bangladesch. Während dieser Reise hatte sie feststellen müssen, dass die Ergebnisse aller Bemühungen immer auf dasselbe hinausliefen: Die Reichen wurden immer reicher – und zwar sowohl in den Entwicklungs- als auch in den Industrieländern –, die Armen immer ärmer.
Die meisten ihrer ehemaligen Mitarbeiter im Ministerium reagierten auf das Buch ablehnend. Offiziell wurden die Vorwürfe seitens des BMZ rundheraus abgestritten. Gleichwohl zeigen die kurz darauf hausintern in Auftrag gegebenen Studien und die sich anschließenden Korrekturen an den Definitionen und Zielsetzungen von Entwicklungspolitik, dass der Anstoß zur Selbstreflexion endgültig gegeben worden war.
Heute, fast zwei Jahrzehnte später, funktioniert die Maschinerie Entwicklungshilfe wie eh und je. In der Theorie ist man zwar einige Schritte weiter: Die "Globale Strukturpolitik", die in der heutigen Entwicklungspolitik den Gedanken der "Entwicklungshilfe" abgelöst hat, fußt auf der Erkenntnis, dass die internationale Zusammenarbeit Strukturveränderungen in Politik, Wirtschaft und Sozialwesen nicht nur in den Entwicklungs-, sondern auch in den Industrieländern zum Ziel haben muss. Dass die Praxis von der Theorie nur allzu weit entfernt ist, und dass auch nach fast fünfzig Jahren Entwicklungspolitik mitnichten Gleichheit und Gerechtigkeit in der Welt herrschen, führt uns allen die gegenwärtige Situation von schwelender Aggression und terroristischer Gewalt vor Augen.
"Tödliche Hilfe" von Brigitte Erler ist nach wie vor ein wichtiges Dokument für alle, die sich kritisch mit Entwicklungshilfe auseinandersetzen. Die Projekt-Wirklichkeit vor Ort mag sich in den letzten 20 Jahren verändert haben, die Interessen der Wohlhabenden und die Wirkungen des Zusammenspiels der internationalen Kräfte, wie sie die Autorin beschreibt, nicht.
Der Text samt Anhang wurden für die vorliegende Ausgabe inhaltlich nicht verändert, da beides in historischem Zusammenhang steht. Die Schreibweise wurde der neuen Rechtschreibung angepasst. Wer sich für aktuelle Daten zu Bangladesch und Informationen zu Entwicklungshilfe-Organisationen interessiert, erhält mit Hilfe der neu in den Anhang aufgenommenen Internet-Adressen einen Einstieg in die eigene Recherche. Auch möchte ich auf unsere Internet-Site www.toedlichehilfe.de mit Linksammlung hinweisen.
Ertay Hayit, Köln